
16
»... was Sterbliche sich manchmal als Fegefeuer vorstellen, einen Ort, an den Wesen zur Strafe geschickt werden.«
»Ich weiß, was es ist. Ich bin zwar ein Elementarwesen, aber ich bin durchaus auch mit Dingen vertraut, die über meine Welt hinausgehen, wie Akasha zum Beispiel. Aber ich weiß zum Beispiel nicht, wie ihr Mayling dort wieder herausholen konntet.«
»Es ist zwar schwierig, aber nicht unmöglich. Nora hat sie früher schon einmal aus Abaddon geholt, und so gibt es zwischen den beiden jetzt eine Verbindung, die das Zurückrufen aus Akasha erleichtert. Deshalb hat Nora auch nur drei Versuche gebraucht. Oh Gott, es sieht so aus, als ob Gabriel sie wachbekommen hat.«
Ich schlug die Augen auf. Die schönsten Silberaugen betrachteten mich voller Sorge.
»Hat er mir nicht die Gliedmaßen abgehackt?«, fragte ich die Augen.
Winzige Lachfältchen bildeten sich in den Augenwinkeln. »Nein.«
»Habe ich denn mein Herz noch?«
»Ja. Es war durchbohrt, aber es ist schon wieder geheilt.«
»Das Stück Drachenherz?« Besorgt fasste ich mir an die Brust.
»Ist immer noch in dir.«
»Magoth?«
»Ist erfolgreich verbannt.«
Ich entspannte mich. »Und mein silberäugiger Wyvern?«
»Ist immer noch wahnsinnig verliebt in dich. Wie fühlst du dich?«
»Ganz gut. Ein bisschen benommen.« Er half mir, mich aufzusetzen, und ich stellte fest, dass ich auf einem Esstisch lag, der anscheinend als behelfsmäßiger Operationstisch gedient hatte. Ich blickte an mir herunter und sah, dass die Tunika an der Stelle völlig zerrissen war, wo der Kopf des gestickten Drachen gewesen war. »Er hat meinen Drachen ruiniert.«
»Dieser Drache kann ersetzt werden«, sagte Gabriel betont, als ich aufstand. Er legte mir den Arm um die Taille und hielt mich fest, bis meine Beine mich wieder trugen. »Du hast eine Menge Blut verloren, aber wir haben den Dolch sofort herausgeholt und die Wunde geschlossen.«
Ich schwankte ein wenig und wisperte: »Ich weiß, dass ich dir geraubt worden bin, aber wenn du jetzt vorhattest, mich auf den Arm zu nehmen und ins Schlafzimmer zu tragen ...«
Er unterbrach mich mit einem heißen Kuss und zeigte seine Grübchen, als er ebenso leise erwiderte: »Die Standardregeln gelten nicht, wenn die Gefährtin verletzt worden ist. Jedenfalls nicht in den nächsten ein, zwei Stunden.«
»Abgemacht«, sagte ich. Der Blick in seinen Augen wärmte mich.
»May, ich kann es nicht glauben, dass du Magoth nicht erzählt hast, dass ich jetzt seine Macht habe.« Cyrene stemmte die Hände in die Hüften, als Gabriel mich zu einem Sessel geleitete.
Aisling murmelte etwas von Saft und Plätzchen, aber zum Glück reichte Gabriel mir ein Glas Drachenblut-Wein, der mich schneller wieder auf die Beine bringen würde als ein Glas Saft.
»Ich habe es ihm nicht erzählt, weil er genauso reagiert hätte wie heute, und ich wollte vermeiden, ihn nach Akasha verbannen zu müssen«, sagte ich, als ich wieder sprechen konnte. Ich betrachtete das Glas. Der Wein war wie ein Bulldozer durch mich hindurchgeschossen und hatte mich mit seinem Feuer erfüllt.
Ich wartete, bis das verbrannte Gefühl in meiner Speiseröhre nachließ, dann fügte ich hinzu: »Zum Glück kann er mich nur alle halbe Jahre rufen. Außerdem dachte ich, du hättest so viel Verstand, dass du es in seiner Gegenwart nicht erwähnst.«
»Verstand.« Kostya schnaubte. »Sie hat keinen Verstand.«
Cyrene wandte sich ihm zu. »Mit dir bin ich noch lange nicht fertig! Du musst es immer noch sagen!«
»Setz dich«, grollte Kostya, und seine beiden Models traten auf Cy zu. Sie wirbelte herum und warf ihnen einen so finsteren Blick zu, dass sie sofort zurückwichen.
»Sind sie immer noch dran?«, fragte ich Gabriel und rieb meine Wange an seiner Tunika.
Seine Hand lag warm auf meinem Nacken. »Sie haben noch nicht aufgehört.«
»Doch, das haben wir«, fuhr Cyrene ihn an. »Wir haben aufgehört, als Nora May zurückgerufen hat, und dann, als du den Dolch aus ihrer Brust gezogen hast. Aber wir sind noch nicht fertig, und ich bestehe darauf, dass wir das klären, bevor die Versammlung beginnt.«
»Unsere private Auseinandersetzung hat nichts mit dem Weyr zu tun«, grollte Kostya.
»Doch, und das weißt du auch. Du willst mir nur nicht den Gefallen tun, und ich bin es leid, dich immer bei Laune zu halten. Ich weiß, dass man dich jahrzehntelang gequält und gefoltert und gefangen gehalten hat, aber jetzt bist du frei, und es ist langsam Zeit, dass du dich in emotionaler Hinsicht weiterentwickelst. Es ist Zeit, dass du dir deine Gefühle eingestehst.« Cyrene warf ihm einen grimmigen Blick zu. »Wenn du es jetzt nicht sagst, dann ... dann ...«
»Was dann?«, fragte er. »Machst du mich dann fertig?«
Cyrene richtete sich auf und stand kerzengerade vor ihm. »Dann verlasse ich dich.«
Kostya wandte sich zum Gehen. Er nahm ihre Drohung offensichtlich nicht ernst.
»Ich werde dich wirklich verlassen. Für immer.«
Er erstarrte. Nicht, was sie gesagt hatte, hatte ihn aufgehalten, sondern wie sie es gesagt hatte. Der Schmerz in ihrer Stimme kam aus ihrem Herzen. Ich war ein wenig überrascht - in den hundert Jahren, in denen ich sie kannte, hatte Cyrene sich mit schöner Regelmäßigkeit verliebt und entliebt, aber nie war ihr wirklich etwas zu Herzen gegangen. Bis heute, wie es schien ... und dann auch noch Kostya!
Kostyas Miene wurde immer finsterer, bis ich dachte, er würde gleich explodieren. Und dann brach es aus ihm heraus. »Na gut! Du willst, dass ich es zugebe? Du willst, dass ich dir meine Seele offenbare? Ich liebe dich, du gestörte Wasserpflaume! Ich akzeptiere dich als meine Gefährtin! Bist du jetzt glücklich?«
Der letzte Ton seiner Stimme verhallte im Saal, und wir alle standen da und blickten ungläubig auf die beiden Personen in der Mitte des Saales.
»Kann er das tun?«, flüsterte ich Gabriel zu. »Sie als Gefährtin akzeptieren, auch wenn sie gar keine ist?«
»Ja«, erwiderte er. »Sie ist zwar keine Drachengefährtin, aber er hat sie als Ersatz akzeptiert. Es ist bindend. Ich finde es allerdings seltsam, dass er das vor so vielen Zeugen getan hat. Das verleiht deinem Zwilling in den Augen des Weyr einen gewissen Status.«
»So handelt kein Mann, der die Sippe oder den Weyr zerstören will«, sagte ich. Cyrene warf sich Kostya an den Hals und bedeckte sein Gesicht mit Küssen.
»Im Gegenteil«, erwiderte Gabriel und winkte Tipene, der einen Stuhl an den Tisch zog. Er half mir auf - eine Geste, die ich seltsam berührend fand - und ergriff meine Hand, um mich zum Tisch zu führen. »Es könnte eine sehr clevere Strategie sein, wenn man bedenkt, wie viel Macht sie in sich trägt.«
»Cy würde die dunkle Macht genauso wenig benutzen wie ich«, sagte ich sanft und legte meine Wange an seine Hand. Zwar verblasste die Erinnerung an Akasha schon, aber ein paar Spuren der Verzweiflung blieben noch, und ich war unendlich dankbar dafür, dass ich Gabriel hatte. »Eigentlich sogar weniger, da sie kein Drachenherz in sich trägt, das sie zu allem möglichen Unfug anstiftet.«
Er erwiderte nichts darauf, aber ich wusste, dass er nicht überzeugt war, und auch die Vorstellung, dass Cyrene jetzt einen offiziellen Status hatte, behagte ihm nicht.
Kostya ertrug Cyrenes enthusiastische Umarmung einen Moment lang, und dann flüsterte er ihr etwas ins Ohr. Überraschenderweise stellte sie sich danach annähernd beherrscht neben ihn.
Alle Nichtdrachen mit Ausnahme von Gefährten, Ersatzgefährten und Dämonen in zottiger Hundegestalt hatten den Saal verlassen. Aisling tat es anscheinend leid, dass sie Jim das Sprechen verboten hatte.
»Du kannst ruhig reden, solange du den Ablauf der Versammlung nicht störst«, sagte sie zu ihm und befahl ihm, sich an die Wand zu legen.
Jim verdrehte die Augen, als er zu der angegebenen Stelle trottete. »Du hast viel gelernt von May, was? Boss, Boss, Boss, mehr könnt ihr beiden nicht. Kommt es euch eigentlich jemals in den Sinn, dass ihr mich einfach nur um etwas bitten braucht? Nein, ständig werden unschuldige kleine Dämonen herumgeschubst.«
»Wolltest du Cecile dieses Wochenende sehen?«, fragte Aisling süß.
Jim verstand die Anspielung offenbar, denn er schwieg missmutig.
»Wer ist Cecile?«, fragte ich Gabriel.
Gabriel sah ernst zu, wie Kostya seinen Platz einnahm, allerdings sofort wieder aufsprang, weil er noch einen Stuhl für Cyrene neben seinen stellen musste. »Ein alter Welsh Corgi. Sie gehört Aislings Freundin in Paris. Mir gefällt das nicht, May.«
»Also, mir persönlich sind Corgis ziemlich egal, aber ...«
»Nein, ich meine, mir gefällt Kostyas zufriedener Gesichtsausdruck nicht. Irgendetwas hat er vor, auch wenn du vielleicht nicht glaubst, dass er mit den Verbrechen gestern etwas zu tun hatte.«
»Der sárkány beginnt«, sagte Chuan Ren laut und schlug mit der Hand auf den Tisch.
»Iiih. Hat sie etwa heute den Vorsitz?«, fragte ich Maata flüsternd.
Sie nickte. Sie und Tipene standen hinter Gabriel. Ich fand es interessant, dass zwar Stühle für jeden Wyvern - fünf, wenn man Kostya mitzählte - um den Tisch gestellt worden waren, aber jeder Wyvern den Stuhl für seinen Gefährten selbst mitbringen musste - die Symbolik war nicht zu übersehen.
»Hol Fiat!« Chuan Ren, die noch nie besonders verbindlich gewesen war, schrie Drake diesen Befehl fast zu.
Drake zog nur die Augenbrauen hoch. Aisling kniff die Augen zusammen, und ich sah, dass ihre Finger zuckten, als ob sie einen Zauber zeichnen wollte.
»Ich glaube, auf der Tagesordnung steht zunächst Kostyas Antrag auf Anerkennung«, sagte Drake ruhig.
Chuan Ren umklammerte die Tischkante so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten, aber sie verlor nicht die Beherrschung. Sie warf Kostya lediglich einen durchdringenden Blick zu. »Konstantin Fekete, der Weyr nimmt deine Petition zur Anerkennung der Sippe der schwarzen Drachen zur Kenntnis. Du bist vertraut mit den Gesetzen, denen die Mitglieder des Weyr unterstehen - willigst du ein, diese Gesetze zu befolgen und einzuhalten?«
Kostya erhob sich und blickte alle am Tisch an. »Die schwarzen Drachen waren geschätzte Mitglieder des Weyr seit seiner Gründung, und es ist längst überfällig, dass wir wieder aufgenommen werden. Wir haben zwar eine unglückselige Geschichte ...« Gabriel erstarrte. Kostya warf ihm einen raschen Blick zu. »... Aber wir haben unsere Differenzen beigelegt und sind bereit, die Geister der Vergangenheit ruhen zu lassen.«
Entweder hatte er wirklich eingesehen, was für ein Wahnsinn es war, die silbernen Drachen zu bekämpfen, oder aber es war nur eine schreckliche Täuschung, um alle in einem falschen Gefühl der Sicherheit zu wiegen. Allerdings hielt ich ihn im Großen und Ganzen für aufrichtig. Er würde seinen Wunsch, wieder im Weyr aufgenommen zu werden, sicher nicht dadurch gefährden, dass er Anspruch auf die silbernen Drachen erhob.
»Als Wyvern in der Erbfolge zum früheren Wyvern Baltic ...« Der Name kam ihm nur zögernd über die Lippen. »Als Erbe schwöre ich bei meinem Leben, dass die Sippe der schwarzen Drachen die Gesetze im Weyr befolgen und einhalten wird.«
Chuan Ren wirkte gelangweilt und ungeduldig. Kaum hatte Kostya seine kleine Rede beendet und sich wieder hingesetzt, da sprang sie auch schon auf. »Ihr habt den Antrag auf Anerkennung gehört. Was sagen die Wyvern?«
»Ja«, sagte Drake. »Die grünen Drachen heißen die Wiederaufnahme der schwarzen Drachen in den Weyr willkommen.«
Aisling lächelte Cyrene zu, die auf ihrem Stuhl neben Kostya hin und her hüpfte. Ich blickte sie stirnrunzelnd an, aber sie grinste nur und blies mir einen Luftkuss zu.
Chuan Ren blickte Bastian an.
Er räusperte sich und stand auf, wobei er sich erst einmal verbeugte, bevor er sagte: »Als rechtmäßiger Wyvern der blaue Drachen sage auch ich ja. Wir freuen uns, Kostya und seine Drachen wieder im Weyr begrüßen zu können.«
»Ich mag ihn«, sagte Cyrene zu Kostya. Wahrscheinlich glaubte sie zu flüstern, aber sie war so aufgeregt, dass jedes Wort deutlich zu verstehen war. »Er ist viel netter als sein Neffe.«
Bastian lächelte sie strahlend an, bevor er sich wieder hinsetzte.
Chuan Ren holte tief Luft und blickte Gabriel an.
Gabriel schaute Kostya einen Moment lang an. Seine Miene war undurchdringlich, aber seine Augen blitzten. »Es gibt eine Tatsache, die dem Weyr bisher noch nicht bekannt ist. Wir sollten sie jedoch berücksichtigen.«
»Tatsache? Was für eine Tatsache?« Kostya warf Gabriel einen irritierten Blick zu.
»Du bist in Paris gesehen worden«, antwortete Gabriel. »Und zwar kurz bevor man entdeckte, dass achtundsechzig Drachen, die in Frankreich lebten, brutal ermordet worden sind.«
Kostya kniff die Augen zusammen. »Und du glaubst, ich hätte etwas damit zu tun?«
»Ich halte es für möglich, dass deine Beziehung zu Baltic doch nicht zerstört worden ist«, erwiderte Gabriel gleichmütig. »Ich glaube, du hältst deine wahren Absichten vor uns zurück. Ich glaube, du bist fähig, Drachen zu töten, um dein Ziel zu erreichen.«
Ungläubigkeit und Zorn zeichneten sich auf Kostyas Gesicht ab, gefolgt von einem wütenden Blick, der deutlicher als Worte sagte, wie aufgebracht er durch Gabriels Einwand war. Kostya hatte mit den Morden nichts zu tun, da war ich mir sicher. »Ich hatte geglaubt, dass die silbernen Drachen noch ein wenig Ehre besitzen, aber jetzt sehe ich, dass ich mich geirrt habe.«
Gabriel erstarrte und erhob sich langsam. Maata machte eine Bewegung, als ob sie sich zurückhalten müsse.
»Du sprichst von Ehre?«, fragte Gabriel. Seine schöne Stimme war hart und brüchig.
»Ja, das tue ich.« Kostya hob das Kinn. »Ich war in Paris, also muss ich verantwortlich sein. So denkst du doch, oder?«
»Leugnest du, zu diesem Zeitpunkt in Paris gewesen zu sein?«
»Nein.«
Im Saal war es still.
»Was hast du denn dort gemacht, wenn du nicht an Fiats Vernichtung der blauen Drachen beteiligt warst?«
Ein Muskel zuckte in Kostyas Kinn. »Du hast kein Recht, mich das zu fragen. Ich bin nicht verpflichtet, dir über jeden meiner Schritte Rechenschaft abzulegen.«
Misstrauische und feindselige Blicke richteten sich auf ihn.
»Kostya ...«, setzte Drake an, aber sein Bruder schnitt ihm mit einer Geste das Wort ab. »Trotzdem werde ich erklären, warum ich in Paris war: Weil ich wünsche, dass auch weiterhin ein entspanntes Verhältnis zwischen der schwarzen und der silbernen Sippe herrscht.«
Maata schnaubte verächtlich, und auch ich musste zugeben, dass ich ihm seinen Altruismus nicht ganz abkaufte.
»Meine Leute hatten ein Haus in Paris beobachtet, weil wir glaubten, dass Baltic es benutzte. Man hatte mich auf ungewöhnliche Aktivitäten aufmerksam gemacht, und so bin ich auf meinem Weg zurück von Riga selbst dorthin gefahren.«
Gabriels Haltung war entspannt, aber ich spürte, wie er jeden Muskel angespannt hatte.
»Meine Männer berichteten von Aktivitäten, aber es war Fiat, nicht Baltic. Ich hatte keine Ahnung, was Fiat vorhatte, sonst hätte ich ihn aufgehalten.« Er blickte die anderen Wyvern an. »Kurz nachdem ich festgestellt hatte, dass Baltic nicht da war, bin ich nach England zurückgekehrt. Von dem Massaker habe ich erst später erfahren.«
Ich beobachtete Gabriel, aber ich war mir nicht sicher, was er dachte. Würde er Kostya glauben? Ich war der Meinung, dass er die Wahrheit sagte. Er gab vielleicht nicht jede Einzelheit preis, aber ich glaubte nicht, dass er an den Morden beteiligt war.
Kostya spürte anscheinend, dass Gabriel seine Erklärung nicht ausreichte, denn er machte eine frustrierte Geste und fügte in gereiztem Tonfall hinzu: »Du liebe Güte, Gabriel - habe ich irgendjemandem etwas getan, seit ich aus dem Adlerhorst befreit wurde? Habe ich einen silbernen Drachen angegriffen? Habe ich irgendjemandem aus deiner Sippe ein Leid zugefügt? Was auch immer du von mir denken magst, ich habe dir nie Anlass gegeben zu behaupten, ich sei ein Psychopath.«
Gabriel schwieg. Anscheinend bedachte er Kostyas Worte.
»Gabriel?«, fragte Chuan Ren ungeduldig. »Was sagst du zur schwarzen Sippe?«
Alle Blicke wandten sich uns zu.
»Ich akzeptiere deine Erklärung«, sagte Gabriel schließlich. »Und ich nehme zurück, was ich über deine Schuld in dieser Angelegenheit gesagt habe.«
Kostya neigte den Kopf, zum Zeichen, dass er die Entschuldigung annahm. Cyrene strahlte uns an und umschlang seinen Arm.
»Unsere Geschichte mit den schwarzen Drachen kennt jeder hier«, begann Gabriel. »Es war ein langer Prozess für uns, uns von ihnen zu lösen, und doch waren sie einst unsere Freunde und unsere Familie. Sie waren ein Teil von uns. Und auch wenn wir keine Rache oder Vergeltung mehr suchen, so sind wir doch nicht so schnell bereit, die Vergangenheit zu vergessen.«
Kostya erstarrte.
»Zu viele haben wegen der schwarzen Drachen ihr Leben verloren.« Gabriel schwieg einen Moment lang, und ich spürte seinen Kummer. »Zu viele Familien wurden zerstört, als dass wir die Opfer einfach vergessen könnten. Wir werden das Andenken an sie immer ehren.«
Ich hielt den Atem an. Unter normalen Umständen war Gabriel viel zu ehrenhaft, um das, was er gesagt hatte, zurückzunehmen. Aber wenn er es nun für gerechtfertigt hielt? Was würde der Weyr tun, wenn die schwarzen und die silbernen Drachen sich erneut bekämpften? Schon in der letzten Zeit hatte Krieg im Weyr geherrscht, der jetzt, sehr zu Chuan Rens Missfallen, zu einem Ende gekommen war. Würde nach dem heutigen Tag wieder Krieg herrschen?
»Wir können auch nicht den Preis vergessen, den die Überlebenden gezahlt haben. Nur durch ein Wunder habe ich eine Gefährtin gefunden, aber die anderen silbernen Drachen müssen die Strafe ertragen, die ein schwarzer Drache ihnen auferlegt hat.«
Kostya rutschte auf seinem Stuhl hin und her, sagte aber nichts. Cyrenes Lächeln war erloschen, und sie schaute bekümmert zwischen Kostya, Gabriel und mir hin und her. Ich spürte Gabriels Kummer. Selbst wenn die schwarzen Drachen in den Weyr aufgenommen wurden, konnten sie den Fluch nicht zurücknehmen.
Das konnte nur Baltic.
Gabriels seidige Stimme erschallte laut und klar in der Stille des Saals. »Aber obwohl wir alle diesen Schmerz in uns tragen, haben wir den Tag herbeigesehnt, an dem alte Wunden endlich heilen konnten. Die silbernen Drachen heißen ihre lang verlorenen Brüder mit offenen Herzen im Weyr willkommen.«
Mir traten die Tränen in die Augen, als Gabriel sich wieder setzte und meine Hand ergriff. Ich rieb mit dem Daumen über seine Handfläche, um ihm ohne Worte mitzuteilen, wie stolz ich auf ihn war und wie sehr ich ihn liebte.
»Gut gemacht, Gabriel«, sagte Aisling leise.
Cyrene schniefte ein wenig und kramte in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch. Auch von der Stelle, wo Jim lag, hörte ich ein Schniefen. Ich blickte in seine Richtung, aber er leckte sein Vorderbein.
Kostya blickte Gabriel lange an, dann neigte er wieder den Kopf und wandte sich erwartungsvoll an Chuan Ren.
»Ich stimme mit den anderen Wyvern überein«, sagte sie kühl. »Hiermit ist die Sippe der schwarzen Drachen als Mitglied im Weyr anerkannt, und Konstantin Fekete ist ihr rechtmäßiger Wyvern. Der sárkány ist somit zu Ende. Holt Fiat!«